Achtsame Haltung
Meine Mitbewohnerin ist Logopädin. Ihr wisst schon–Menschen, die anderen Menschen helfen bei
Sprach-, Sprech- oder Stimmstörungen. Seit wir zusammen wohnen, ist mir mehr bewusst, was
alles unsere Sprechfähigkeit beeinflusst. Gutes, tiefes Atmen und eine “richtige” Haltung gehören
unteranderem dazu. Und natürlich bekommt sie regelmäßig Werbung für Weiterbildungen. Eine
Werbung hat diese Woche ganz besonders meine Aufmerksamkeit ergattert. Auf der Broschüre
waren Menschen zu sehen, die in einer Reihe sitzend, gekrümmt auf ihre Smartphones schauen.
Das Smartphone –Fluch und Segen zugleich?
Der Handy/Smartphone-Nacken
Nein, kein Wort, das ich für diesen Bericht erfunden habe, sondern ein Begriff, der mittlerweile im
medizinischem Bereich verwendet wird, um zu beschreiben, welche körperlichen Auswirkungen
der ständige Blick nach unten aufwirft. Alles halb so wild? Halten wir unseren Kopf gerade,
belasten wir unseren Nacken mit bis zu 5 kg, beim ständigen Blick nach unten sind es 20kg! (Wer
mehr dazu lesen möchte, schaut in den Artikel des Mediziners Hansraj)
Schau mal nach oben
Ich wohne in einer Großstadt. Obwohl das bei dem Thema wohl kaum was zur Sache macht: Im
öffentlichen Raum fällt mir oft auf, wie mein Umfeld (und auch ich) viel zu oft den Blick auf den
Flimmerkasten in der Hand fixiert, anstatt sich umzusehen, aufmerksam zu sein, zu bemerken.
Unser Körper und unser soziales Ich leidet. Vor ein paar Wochen hingen an vielen U- und S-Bahn-
Stationen Plakatwerbungen meiner Krankenkasse. Ein witziges Paradox, denn die einen Plakate
bewarben die neue “Bewusstseins-und Gesundheitsapp”, während die anderen aussagten, wie
schlecht die Handysucht für Körper und Geist seien und man das Smartphone öfters mal
ausschalten solle.
Go offline!
Vor ein paar Wochen habe ich ein Buch gelesen, indem der Autor (US-amerikanischer
Marketingprofessor) über das Suchtpotenzial uns umgebender Technologien schreibt. Denn
körperlich trainieren wir unser Gehirn auf den ständigen Adrenalin-Schub, den der Nachrichtenton
unserer Smartphones und dem Bewusstsein, ständig Neues im “Feed” erleben zu können,
auslösen. Einzige Behandlungsmethode: Internet-Detox. Also weg von Laptop, Tablet,
Smartphone…
Als Kind der 90er, also aufgewachsen mit der Tatsache, dass man sich ins Internet erst einloggen
musste, anstatt es ständig verfügbar zu haben und Handys, in denen man die Pixel zählen konnte,
fand ich es besonders amüsant, eine neue Entwicklung zu sehen: Ein Handy-Anbieter rief zum
Crowdfunding auf für sein revolutionäres Konzept. Ein Telefon, mit dem man telefonieren kann.
Inklusive Meditationstimer. Kein Internet. Das Handy für MinimalistInnen und Bewusste.
Ist das die Zukunft? Der Weg zurück und ein Uns-Zwingen, ein bewusstes Entkoppeln, um nicht
mehr dem ständig aufleuchtenden, mit allem verbundenen flachen Viereck an unserer Bauchkette
verfallen zu müssen?
Alter, Adam: Irresistible. The rise of addictive technology and the business of keeping us hooked.
New York, 2017.
Hansraj, Kenneth: Assessment of stresses in the cervical spine caused by posture and position of
the head. In: Surgical technology international (2014).